Friedensfahrt
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- Veröffentlicht: Freitag, 30. November 2001 23:03
Reisebericht von Thomas Reinhardt
Berlin – Paris – Barcelona
Immer wegen den Sommerferien ist es mir nicht möglich gewesen einen " Radklassiker" zu fahren. Die im Frühjahr bis Sommer erzielte Form war weg, Urlaub zulange, Wetter war nicht mehr das wie es sein sollte, den Urlaub abbrechen, verschieben? Oder alles nur faule Ausreden? Es müsste doch noch was anderes geben. Wer suchet der findet.
Als Abonnent der Zeitschrift" tour" kam im Dezember schon die Januar 2001 Ausgabe. Unter dem Titel "Völker Wanderung " fand ich des Rätsels Lösung. Vom 13.Juli bis 04.August 2001 von Berlin über Paris nach Barcelona. Toll, und jetzt? 2600 km in der Urlaubszeit, ich würde gerne mitfahren aber, wie sag ich es meiner Frau? Was sagt sie dazu? Eine Frage nach der anderen.
Was ist eine Internationale Touristische Friedensfahrt?
Nur 150 Teilnehmer sollen sich dieser Aufgabe stellen und wer spricht da von Völker Wanderung! Info unter .......! Mein Name ist ... ich hätte da mal eine Frage !!!! Nach ca. 20 min. telefonieren`s wusste ich mehr. Die Begeisterung wurde von einem freundlichem Mann am anderen Ende der Leitung so geweckt, dass ich völlig die 2600 km und meine Frau vergaß.
100 DM Anzahlung wegen der Begrenzung auf die 150 Mann starke Völker Wanderung (wer zu erst kommt malt zuerst) müssten dann auch erst bezahlt werden. Mein Interesse an dieser Tour ließ mich die erste Nacht kaum schlafen, mit Muskelkater bin ich am anderen Tag schon wach geworden. Wie soll das nur weiter gehen, die familiäre Starterlaubnis lag noch nicht vor. Aber meine liebe Frau hatte da eine Idee. " Ich erhalte die Erlaubnis als Geburtstagsgeschenk" damit endlich das Thema Radklassiker ein für alle mal erledigt ist. Gibt es eigentlich noch schönere Ideen in der Vorweihnachtszeit???
Ab jetzt gab es nur eins: Rad fahren bei Wind und Wetter.
Im Breitensportkalender stand es jetzt auch, RTF-NR 1791 – 2600 km, die mit Abstand längste Veranstaltung die hier ihren Platz gefunden hatte. Aber Achtung, wenn es nicht klappt, nie in Barcelona ankommen, keinem aus dem Verein was sagen. Es ist den Härtesten schon aufgefallenwo ich überall fahre. Am 1.Mai hatte ich schon meine RTF Punkte für 2001 voll.
Immer mehr Information kam auf mich zu. Die Etappen standen fest, der Rückflug, Kosten und sonstige kleine nützliche Dinge bekam man mitgeteilt.
Diese touristisch geprägte Tour wird in Zusammenarbeit des RKB – Berlin Brandenburg, RV Leipzig und dem Kuratorium Friedensfahrt unter Leitung von Täve Schur seit 1984 veranstaltet. Dieses Jahr war es die 18.ITF.Seit dem Fall der Mauer führt die Tour quer durch Europa. Ex DDR Meister im Querfeldeinfahren, Steher Weltmeister, Nationalmannschaftsteilnehmer, Lizens - u. Amateurfahrer, Weltmeister im Duathlon u.Triathlon ihrer Altersklasse, Masters, Russen, Polen, Tschechen, Litauer, Schweizer und
Menschen wie du und Ich, alle hatten nur ein Ziel, ankommen. Zwischen 15 und 71 Jahren lag das Teilnehmeralter wobei ich mich zu den Jüngeren zählen durfte.
Die Startvorbereitungen begannen um ca.15.00 Uhr mit dem Eintragen in die Startlisten, Ausgabe der Startnummer, Unterschreiben einiger Erklärungen (z.B. Gesundheit, Haftung, Versicherungsschutz usw.) Einteilung in die Potsdamer Quartiere, Erläuterung der Streckenpläne für die 1.Etappe, Verladung des Gepäcks...
Der Ehrenstart zum Prolog erfolgte am 13.7.2001 um 17.00 Uhr in Berlin am Potsdamer Platz . Ein geschlossenes Feld rollte, nachdem der Startschuss gefallen war, durch Berlin Richtung Potsdam. Denkste, wie der Berliner sagte. Nach ca.500m wurde das erste mal gehalten und gewartet bis alle Teilnehmer zusammen waren. Kurt, von der Figur her eher woanders zu suchen als auf einem Rennrad, erklärte mit extrem lauter Berlinerschnauze :"Also Leute so nicht, woll." Was wird das geben dachte ich, 150 Mann in eine Richtung. Naja nach Kurt`s Ansprache ging es weiter, quer durch Berlin über den Kuhdamm, vorbei an der Avus, entlang des Wannsees über die Glienicker Brücke nach Potsdam. Ideales Radwetter, schöne Strecke und 150 Mann die scheinbar das erste Mal Radgefahren sind waren daran Schuld, dass wir fast 2 Stunden für 31 km brauchten.
Wir waren 8 Mann auf einem Zimmer und jeder wusste so geht’s nicht weiter, wir fahren morgen ohne die anderen, wir sind die einzigen die richtig fahren. Die anderen haben alles falsch gemacht.
Der Tag ging zu Ende und die Nacht endete so, wie wir es verdient hatten... Es regnete in Strömen. Ab jetzt begann das was in Routine übergehen sollte. Aufstehen, anziehen, Gepäck rausstellen, frühstücken, losfahren.
Start war am Filmmuseum. Minister Reiche verabschiedete uns mit den tröstenden Worten" Sie fahren ja der Sonne entgegen" in den Regen. Einem Polizeiauto folgend ging es aus Potsdam raus auf die Strecke. Ab jetzt konnte jeder fahren wie er wollte.Es galt die Elbe zu überqueren, laut Streckenplan mit einer Fähre. Wie bekannt von RTF Touren traf man hier wieder die " Ausreißer". Ach ja ,keine RTF Schilder, das war es also. Auf der Fähre wurden die ersten Gruppen neu gebildet. 5 Radler, 6 Meinungen. Am ersten Kontrollpunkt dann die Überraschung. Lauter fleißige Helfer hatten hier was aufgebaut, was den Namen Buffet zurecht verdient hatte. Schon wieder was anders als bei einer RTF. Also kein Kontrollpunkt. Warum auch, jeder hatte einen Streckenplan wonach zufahren ist, Selbstkontrolle.Es bildeten sich neue Gruppen. 5 Mann und noch mehr Meinungen. Jetzt wurden auf einmal Leute gesucht die lesen konnten. Abwechselnd Regen und Sonne erreichte ich das nächste Buffet.
Eine Schlemmer Tour? - wenn das so weiter geht ! Und wieder neue Gruppen.
Na ja, irgend wie kamen wir in Bernburg an. Hier wurden die Startkarte gegen Zimmerausweise und neue Streckenpläne getaucht. Christel die gute Fee, eine Frau mit der Ruhe eines Ackergaul`s hatte mit ihrer langen Erfahrung und Menschenkenntnis jedem ein Zimmer zugeteilt. Und somit fast die Gruppen hergestellt, die so ihren Weg bis Barcelona finden sollten.
Ach ja, da war doch noch was. Wo ist mein Gepäck, mein Rad braucht Pflege und wo kommt es hin, ich brauch es morgen wieder, hallo Service!
Auch hier muss Routine rein. Gereinigt, gelüftet und gut gestärkt lernten wir alle guten Geister dieser Tour kennen, die uns täglich mit einem LKW, zwei Kleintransportern, einem PKW und einem Kleinbus mit Anhänger begleiteten. Anschließend wurde auf den Zimmern die Wissenschaft der Streckenpläne und deren Anwendung diskutiert.
Also man braucht einen der Lesen kann und jemand der es glaubt.Diese Zusammensetzung ist in einer großen Gruppe wie sich herausstellte nicht zu finden gewesen.
Regen - der Tag begann. Eine der längsten Etappen. Lange ansteigende Geraden, Wind aus allen Richtungen und Kopfsteinpflaster-Strecken in ausreichender Menge, (der wilde Osten) so endete um 16.00 Uhr die 2.Etappe.Die Nächte reichten nicht aus, die durchnässte Kleidung zu trocknen. Im Gepäck sind ja noch die Klamotten von gestern also, rein ins Nasse und raus auf die Piste. Der Wind trocknet oder der Regen macht es wieder nass .
So also waren die nächsten Etappen über Eschwege bis Marburg. Hier war eine Stadtführung angesagt, die seltsamerweise im Trockenen stattfand.Ja! Dies sind die Unterschiede zu einer RTF. Alle 50 Km ein Buffet , Info bzw. Stadtbesichtigung, keine RTF Schilder, Service, ärztliche Versorgung und was das Beste an einer ITF ist, man fährt von A nach B und nicht im Kreis. Man macht Kilometer 650 davon und wir sind in Montabauer.
Mit sehr starkem Gegenwind ging es an der Mosel entlang, bergauf und bergab in die Eifel. Zwischen Denkmälern und 1000 den von Gräbern, bei nur noch 11°, überquerten wir die Ardennen und landeten in Bouillon an der franz. Grenze. Das hieß wir hatten Luxemburg und Belgien an einem Tag durchfahren. 167 Km und 2130 Hm unter 8 Std. in strömenden Regen.Das kostete einen Satz Bremsbelege, denn die Abfahrten ließen es nicht zu, hier schnell runter zu fahren. Mittlerweile hatten wir, wie es bei einer richtigen Tour auch ist, schon ganz schön Ausfall. Schlüsselbeinbruch, Armfrakturen, Magen – und Darmprobleme sowie etliche Materialschäden durch Stürze. Aber unsere Ärztin sollte ja keinen Urlaub machen, sondern wie unser Mechaniker und wir arbeiten.
Frankreich wurde erreicht und die Sonne lachte. Reims war unsere nächste Station, auch hier eine Besichtigung, die im Anschluss an die Etappe folgte. Gepäck suchen, Fahrrad unterstellen, duschen und dann Besichtigung; oft ein bisschen viel des Guten. Zumal das Essen erst anschließend gereicht wurde.
Etappe 8 stand auf dem Streckenplan: 160 Km 2x Buffet bis Paris. Doch dieses Mal war ca. 30 Km vorm Ziel geschlossenes Feld angesagt. 3 Stunden irrten ca.130 Fahrer mit Begleitfahrzeugen durch Paris. Hoch lebe das Chaos. Die Unterkunft wurde erreicht und ein Ruhetag war angesagt.
Großes Reinemachen. Das Fahrrad war das Geringste. Irgend etwas riecht, und schreit nach Wasser was nicht von oben kommt. 4 große Waschmaschinen liefen die Nacht durch. Mit Erfolg ! Frisch gereinigt und gelüftet ging es in mehreren Gruppen am nächsten Tag durch Paris.Oh Mann, das Laufen tut weh und da sprach einer von Ruhetag.
Neue Gesichter tauchten auf und alte verließen die Tour. Dies war vom Veranstalter so buchbar, nicht jeder wollte oder konnte so lange unterwegs sein. Berlin – Paris oder Paris – Barcelona sind ja auch schon eine Reise wert.
1200 Km und 11000 Hm lagen hinter uns bevor es endlich wieder weiter ging. Das geschlossene Feld erreichte die Stadtgrenze und jede Gruppe oder Einzelfahrer fuhr das nächste Etappenziel Orleans an Die Unterbringung änderte sich in Frankreich schlagartig. Nicht nur Jugendherbergen sondern immer mehr Hotels mussten herhalten. Es gab einen zentralen Anlaufpunkt, wo Unterkunft und die neuen Streckenpläne verteilt wurden. Oft änderte sich hier die Etappenlänge teils bis zu einer Stunde.
Sonne bis zum nächsten Höhepunkt war angesagt. In Chamboulive trafen wir Amstrong, Ullrich und Co. Die 17.Etappe der Tour de France kreuzte unsere Wege. Wir fuhren nun den Profis entgegengesetzt ihren Startort Brive la Gaillarde an.Die neuen Temperaturen erlaubten uns im Freien, wie Gott in Frankreich, zu essen. Lange, für Frankreich bekannte Landstraßen, waren jetzt nicht mehr auf unserem Programm.
Gut eingefahren ging es über Montauban und Carcassonne Richtung Pyrenäen. Die körperliche Belastung, der Sauerstoffverbrauch und die Pulsfrequenz in Einklang zu bringen war Voraussetzung für die nächsten Etappen. Sie wurden etwas kürzer, dafür aber etwas steiler. Lange Steigungen von 30 Km sind hier keine Seltenheit. In 2000 m Höhe lag unser Etappenziel bei Font Romeu in den Pyrenäen. 17000 Hm bis hierher und wir waren noch nicht oben.
Die 16.Etappe war mein Traum. Einmal über Andorra mit dem Fahrrad. Nur 40 Radler hatten noch den Willen, Lust und den Mut diese historische Etappe zu fahren. Hier wurde schon so manche Tour de France oder Vuelta entschieden. Hinunter auf 1100m und dann vorbei an Autoschlangen kurbelte man sich nach Andorra hoch, über den Col de Puymorens bis zum Port dÈnvalira auf 2408 m. Ein traumhafter Ausblick und 22 Km Abfahrt - das hatte sich echt geloht. So was macht man nur einmal, und alle die es nicht gewagt hatten und die leichtere Version wählten haben uns Löscher in den Bauch gefragt. War es schwer, wie war es da oben .... In einem Super Hotel in Sant Julia wurde so manches Glas gelehrt.
Ab jetzt Richtung Meer nur bergab, so war es gedacht. Keiner, aber auch keiner, hatte die Rechnung ohne die französische Geographie gemacht. Selbst die Weicheier vom Tag zuvor kamen auf ihre Kosten.Die schwerste Etappe dieser Tour, wozu Streckenplan? Bis Manresa ( der Zielort ) 100 Km na und? 1050 Hm auf 50 Km, Rampen bis 18% und 40 °. 130 Radler kamen über den Tag verteilt echt kaputt in Manresa an. Die Ersten traf ich im Dorfbrunnen, andere lagen oder saßen irgendwo, Hauptsache Schatten.
Barcelona war das Ziel also ran und los ging am anderen Morgen die letzte, also 18.Etappe. Ausgebaut wie eine Autobahn war die Straße, die uns zum Ziel führte, bis uns eine Polizeistreife auf einer Raststätte zum Anhalten zwang. Der Tross mit allen Fahrern und Begleitfahrzeugen durfte nach einigen Telefonaten weiter ziehen. Eine Polizeieskorte begleitete uns unter Applaus der Touristen und Spaniern quer durch Barcelona zum Empfang ins Rathaus. Es muss wohl an der Polizei gelegen haben, denn so sind wir noch nie als geschlossenes Feld aufgetreten.
Nach einem Grande Cerveza und etwas Besichtigung ging es per Bahn zurück nach Manresa. In einer Millionen Stadt mit dem Rad, 130 Radler in der Bahn. Kein Kommentar, aber ein schönes Erlebnis wie die ganze Tour.
Überhaupt. Nach 2650 Km und 22195 Hm bin ich am 3.8.2001 wieder in Frankfurt/M gelandet. Mit der Erkenntnis: ich würde es wieder tun.